27.04.2015  Forschung

Zu Besuch in der Arktis

Kurzer Bericht: Arktis-Wissenschaft auf Spitzbergen – Delegation mit Forschungsministerin Wanka (April 2015) zur Polar- und Meeresforschung des Alfred-Wegener-Instituts

Gemeinsam mit Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka besuchte ich als Mitglied ihrer mehrköpfigen Delegation*1 und Mitglied/Obmann im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 7.-10. April 2015 mehrere deutsche sowie internationale Forschungseinrichtungen auf Spitzbergen.

Der Spitzbergen-Archipel gilt als eines der zugänglichsten arktischen Regionen der Welt und bietet in vielfacher Hinsicht ideale Forschungsbedingungen. Rund 95% der gesammelten atmosphärischen Daten auf Spitzbergen weisen keine örtliche Verschmutzung auf. Die Nähe zum magnetischen Nordpol ist zudem ideal für geophysische und atmosphärische Studie. Alle geologischen Zeitalter wurden in der Landmasse des Archipels gefunden. Zusätzlich zu zahlreichen norwegischen Forschungsaktivitäten sind Forschungseinrichtungen aus über 20 verschiedenen Ländern auf Spitzbergen mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Unser Land – vertreten durch das BMBF – ist mit seiner Forschung ein wichtiger Akteur in der Arktis: Die von uns geförderten und (mit)finanzierten Institute betreiben biologische, geologische, ozeanographische, meteorologische, geophysikalische, glaziologische und chemische Forschung in der Polarregion.

Beeindruckend war die Besichtigung der Saatenbank Spitzbergen („Gobal Seed Vault“) in Longyearbyen: Hier werden Saaten aller Länder der Erde tief in einem Permafrost-Berg eingelagert. Auf diese Weise soll das Biodiversitätserbe, darunter auch für die Menschheit als überlebensnotwendig eingeschätzte Saaten, geschützt und für kommende Generationen erhalten bleiben.

Hervorzuheben ist auch das University Centre de Svalbard („UNIS“) in Longyearbyen: Sie bildet ein modernes Universitätszentrum und eine gemeinsame „Außenstelle“ der Universitäten von Oslo, Bergen, Tromsø und der technisch-naturwissenschaftlichen Universität Norwegens. UNIS hat sich die universitäre Lehre und Forschung in arktischen wissenschafts- und Technologiefeldern zur Hauptaufgabe gesetzt und ist auf dem Weg, sich als Forschungsort für arktische Studien zu etablieren: UNIS bildet das Zentrum des „Svalbard Science Centre“ (SSC), einem Zusammenschluss verschiedener Forschungsinstitute.

Kern der Reise war der Aufenthalt auf Ny-Ålesund, die nördlichste dauerhafte zivile Forschungsstation der Welt: Dieser Ort besteht heute ausschließlich aus permanent besetzten Polarforschungs-Stationen Norwegens, Deutschlands, Frankreichs und Chinas sowie aus zeitweise besetzten Stationen Italiens, Großbritanniens, der Niederlande und Japans. Während unserer Inspektionsreise auf Ny-Ålesund und der Forschungsstation vom Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, waren wir auch auf der deutsch-französischen Forschungsbasis AWIPEV zu Gast.

Unter Leitung von AWI-Direktorin Prof. Dr. Karin Lochte und weiterer Wissenschaftler*innen besuchten wir u.a. die vielfältigen wissenschaftlichen Einrichtungen im internationalen Forscherdorf Ny-Ålesund. Auf diese Weise erhielten wir einen umfassenden Überblick und intensiven Einblick in die Breite der Forschungsarbeit vor Ort. Wir wurden umfassend über den aktuellen Stand und neue Ergebnisse der Arktisforschung informiert. Mit den inspizierten hoch leistungsfähigen Forschungsinfrastrukturen, Mess-Stationen und internationalen Forschungsverbund-Vorhaben werden die Langzeitmessungen vorgenommen, die eine verlässliche Datenbasis unter anderem für politische Entscheidungen in der Klimapolitik schaffen.

Höhepunkt des Aufenthalts auf der AWIPEV-Basis auf Ny-Ålesund war eine Schifffahrt zur Gletscherfront des Kongsfjords: Da der Gletscher seit Jahren immer stärker und schneller schmilzt, war diese Besichtigung äußerst ambivalent: Einerseits durchaus faszinierend als unvergessliches Naturerlebnis. Andererseits niederschmetternd als Beleg einer kontinuierlich stattfindenden und sich beschleunigenden Klimakrise. Nach einer rund 30-minütigen Bootsfahrt zum Gletscher hieß es, dass dieselbe Strecke zur selben Jahreszeit noch vor wenigen Jahren zu Fuß zurückgelegt hätte werden können. Das war nur eins der Beispiele, wie dramatisch die Veränderungen der Meereis-Bedeckung in der nördlichen Polarregion sind. Fakt ist: Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Klimakatastrophe so sichtbar und messbar wie in der Arktis.

Folgende zentrale Forschungsergebnisse teilten uns die Arktisforscher*innen mit:

  • Die Lufttemperatur auf Spitzbergen hat sich seit dem Start regelmäßiger Messungen (im Jahr 1993) im Jahresmittel um 1,3 Grad Celsius pro Jahrzehnt erhöht.
  • Vor allem in den Wintermonaten (Dezember bis Februar) vollzog sich die Erwärmung mit 3,4 Grad Celsius pro Dekade besonders heftig.
  • Dieser, durch Langzeitmessungen wissenschaftlich belegte, Temperaturanstieg bewirkt massive Umweltveränderungen des Ökosystems Arktis – infolgedessen des globalen Klimas.
  • Die sommerliche Meereis-Bedeckung in der nördlichen Polarregion befindet sich in einem langjährigen dramatischen Abwärtstrend.
  • Aktuelle Projektionen mit Klimamodellen deuten darauf hin, dass die Arktis zur Mitte dieses Jahrhunderts während der Sommermonate de facto eisfrei sei.
  • Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie andere Weltregionen, weil das hochkomplexe Zusammenspiel von Ozean, Meereis und Atmosphäre zu Rückkopplungseffekten führt – die wiederum die Erwärmung verstärken (sogenannte „Arctic Amplification“).
  • Die Geschwindigkeit der Klimaerwärmung in der Arktis ist in den letzten Jahren viel stärker und dramatischer gestiegen als ursprünglich prognostiziert und angenommen.

Kurze Bewertung: Der Besuch machte mir als Delegationsteilnehmer einmal mehr zweierlei nachdrücklich deutlich:

  • Die außerordentliche Wichtigkeit und die hohe Bedeutung unseres deutschen Forschungsengagements im europäischen und globalen Zusammenwirken sowie die breite Erfahrung und durchaus Vorreiterstellung in der Klimaforschung.
  • Und die beunruhigende Dramatik der Klimakrise: die besorgniserregende Beschleunigung der Klimaerwärmung in der Arktis mit all ihren Auswirkungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten – regional, global und hierzulande.

Mit der Erwärmung der Arktis dürfte sich bekanntermaßen und paradoxerweise die Häufigkeit kalter Winter in Europa weiter erhöhen. Denn: Mit der Erhitzung wandeln sich auch die Wetter bestimmenden Muster in der Atmosphäre und auf den Ozeanen. Wissenschaftler*innen zufolge gehörten die Winter 2009/10 und 2012/13 zu den kältesten in Mitteleuropa (seit den 1960er Jahren). Die Erforschung atmosphärischer wie meteorologischer Veränderungen in der Arktis tragen daher auch dazu bei, die Wettervorhersage in unseren Breiten zu präzisieren.

Die massiven Umweltveränderungen in der Arktis habe ich als alarmierend erlebt: Schwindendes Meereis und schrumpfende Gletscher verändern die Landschaft, das gesamte Ökosystem und die biologischen Vielfalt (Biodiversität) – im Wasser (Algenwachstum, verlorene und neue Arten), in der Erde (Permafrost-Schmelze) und in der Luft (Wetter/ Klima) erheblich.

Die geo-, außen-, sicherheits- und friedenspolitische Dimension deutscher Arktis-Politik wurde an vielen Stellen deutlich: Die „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ des Auswärtigen Amts von 2013 bieten dafür eine durchaus brauchbare Grundlage: Sie bündeln die Herausforderungen, Risiken und Chancen dieser Region. Meines Erachtens müssten hierbei aber die ökologischen und klimapolitischen Dimensionen sowie das Thema der friedlichen Nutzung der Arktis gegenüber wirtschaftlichen Nutzen-Interessen seitens der Anrainerstaaten mehr Gewicht erhalten. Klar ist, das Deutschland als Partner mit immensem Spezialwissen im Forschungs- und Technologiebereich sowie beim Setzen von Standards für eine nachhaltige Entwicklung wertgeschätzt wird. Die norwegische Seite – u.a. vertreten durch den Staatssekretär des Wissenschaftsministeriums – betonte, dass der „Beobachterstatus“ Deutschlands im „Arktischen Rat“ von besonderer Bedeutung sei.

Deutlich wurde auch die Bedeutung internationaler Wissenschaftskooperation: Das BMBF kooperiert über das AWI und in der bi- bzw. multilateralen Zusammenarbeit mit den arktischen Anrainerstaaten – und weiteren. Hierbei sind insbesondere Norwegen, Frankreich, Dänemark, Island, die USA, Japan, Kanada sowie Russland und China wichtige Partner. Diese Zusammenarbeit ist nicht nur ein Schlüssel, um die klimatischen Zusammenhänge intensiver zu erforschen und sie so noch besser zu begreifen. Sondern sie ist auch ein Beleg für die Bedeutung von Wissenschaftsdiplomatie und die diplomatisch wie außenpolitisch positiven Wirkungen von internationalen Wissenschaftskooperationen.

Besonderen Respekt verdient haben in diesem Zusammenhang die Polarforscher*innen. Sie betreiben ihre Wissenschaft unter extremen klimatischen Bedingungen und in einzigartiger Abgeschiedenheit.

Unterstreichen kann ich die Bedeutung der Polar- und Meeresforschung als wesentliche Säule der Klimaforschung. Die internationale Vernetzung dieser Forschung und der Austausch über Daten und Ergebnisse sind von elementarer Wichtigkeit. Daher sollte beides weiter gestärkt und intensiviert werden.

Die Eisschmelze und Klimaerwärmung haben sich rasant beschleunigt und können weltweit zu erheblichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen führen. Vorliegende Langfrist-Messungen und wissenschaftsbasierte Klima-Prognosen sind eine Warnung und Mahnung. Sie bleiben jedoch folgenlos, wenn seitens der internationalen Staatengemeinschaft beherzte kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen ausbleiben. Die wissenschaftlichen Befunde der dramatischen Klimakrise und ihre Empfehlungen der Arktisforscher*innen hätten schon längst zu einer tiefgreifenden globalen, europäischen und nationalen Klimaschutzpolitik führen müssen. Dafür gilt es sich – gerade im Vorfeld der nächsten Weltklimakonferenz (im Herbst in Paris) – im Bundestag mit Nachdruck einzusetzen und der Bundesregierung beim Klimaschutz deutlich schnellere und höhere Anstrengungen abzuverlangen.

Weitere Informationen hier:

http://www.bmbf.de/de/26677.php

http://www.awi.de

http://www.awipev.eu/

Herzliche Grüße,

Kai Gehring

*1 Weitere Delegationsmitglieder waren drei MdB-Kolleg*innen/ Ausschuss-Mitglieder, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leiter des französischen Polarinstitutes IPEV, der Vorsitzende des AWI-Kuratoriums, der deutsche Botschafter in Norwegen, BMBF-Abteilungsleiter sowie weitere BMBF-Mitarbeiter*innen und Journalisten.