25.01.2021  Allgemein

Wissenschaftsrat: Brandbrief an die Bundesregierung zur Pandemieforschung

Zum Positionspapier des Wissenschaftsrats „Impulse aus der COVID-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland“ erklärt Kai Gehring, Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule:

Es ist ein echter Brandbrief, den der Wissenschaftsrat heute an Forschungsministerin Karliczek geschickt hat: im Ton gewohnt diplomatisch, bei der Benennung der Defizite aber unmissverständlich deutlich. Ministerin Karliczek darf nicht länger Forschungslücken verwalten, sondern muss Forschungsförderung gegen Corona systematisch und weitsichtig gestalten, um Erkenntnisse zu vervollständigen und den dringenden Transfer zu beschleunigen. Ganz besonders hapert es beim Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis, was akut die Medikamentenforschung zeigt, die wir seit Monaten anmahnen. Erst vor wenigen Tagen, ein Jahr nach Beginn der Pandemie, hat das Bundesforschungsministerium ein eigenständiges Programm zur Entwicklung lebenswichtiger Covid 19-Medikamente aufgelegt. Aktuell läuft die Antragsphase und es steht in den Sternen, wann Ergebnisse für die praktische Versorgung vorliegen. Gleichzeitig klagen immer mehr Forscherinnen und Forscher, dass ihnen die nötigen Mittel für Medikamentenstudien fehlen. Auch der eilige Einkauf von Antikörper-Medikamenten kann diesen Fehler in der Pandemiebekämpfungspolitik nicht wettmachen. Wissenschaftspolitischer Weitblick und beherzte Vorsorge gehen anders, Frau Karliczek.
Mit den Empfehlungen für eine vorausschauende, wissenschaftliche Politikberatung schlägt der Wissenschaftsrat in die gleiche Kerbe wie unsere Forderung nach einem Pandemierat. Es ist überfällig, die fatalen Forschungslücken – unter anderem zu Übertragungswegen im ÖPNV, Mutationen oder Langzeitfolgen von Erkrankungen – zu schließen. Eindämmungsmaßnahmen benötigen ein kontinuierliches Monitoring, müssen wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Wissenschaft und Forschung können unsere Gesellschaft widerstandsfähiger machen und für Krisen besser rüsten, wenn politisch der richtige Rahmen gesetzt ist. Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung aus dem Hause Karliczek ist gerade einmal zwei Jahre alt und muss doch dringend überarbeitet werden.
Starke Wissenschaft braucht ein solides Fundament. Es ist darum so richtig, dass der Wissenschaftsrat den Fokus auch auf unsere Hochschulen hierzulande richtet. Forschungsministerin Karliczek hat diese in der Krise sträflich vernachlässigt. Die Digitalisierung der Hochschulen steckt in den Kinderschuhen; wie es den Studierenden geht, ist der Bundesregierung gleichgültig. Für die Aufrechterhaltung von Forschungskooperationen mit der Wirtschaft gibt es Geld nur für die großen Forschungsorganisationen, aber die Universitäten schauen in die Röhre.